Entwicklungspsychologie — Was, wann?

Welche Entwicklungsaufgaben stellen sich Jugendlichen? Wie nehmen Kinder die Welt wahr? Und wie nehmen Jugendliche die Welt wahr? Entwicklungspsychologische Kenntnisse liefern Antworten auf diese und ähnliche Fragen und bieten eine Hilfe für den fachkundigen und liebevollen «Blick von oben» der Lehrerinnen und Lehrer.
Von Géraldine Rossi und Debora Hauser*
Der vorliegende Text stellt ausgewählte Hauptmerkmale der Entwicklung vom Kindergartenalter bis Ende Schulzeit dar und verweist auf die Bedeutung für die Schule. Alle im Text vorkommenden Tabellen können über diesen Link als Excel-Datei bezogen werden.
[Der Schulpsychologische Dienst stellt den Text unter diesem Link als Dokument zur Verfügung - L. F.] |
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Die verschiedenen Entwicklungsphasen
Die Entwicklungspsychologie geht davon aus, dass sich kognitive Fähigkeiten, soziale Beziehungen und andere lebenswichtige Aspekte der menschlichen Natur im Laufe des gesamten Lebens entwickeln und verändern. Die Theorie beschreibt diese Entwicklung in den Phasen 'Frühe Kindheit' (3-6 Jahre), 'Mittlere und späte Kindheit' (6-11 Jahre) und 'Jugend' (12-19 Jahre). Das Wissen, wie das Kind in diesen Zeitabschnitten empfindet, seine Welt wahrnimmt und welche Entwicklungsaufgaben sich ihm stellen, hilft der Lehrperson, entwicklungsgerechte Lerninhalte anzubieten und viele Phänomene in der Schule besser zu verstehen.
Frühe Kindheit (3-6 Jahre)
Dieser Altersbereich ist geprägt von grossen Geschwindigkeitsunterschieden in der Entwicklung. So wissen wir heute beispielsweise, dass einige Kinder ihre Schuhe bereits mit drei Jahren binden können, die meisten erlernen diese Fähigkeit mit sechs bis sieben Jahre. Auch das Erlernen des Fahrradfahrens weist eine grosse Varianz auf: Eine Minderheit erwirbt diese Fertigkeit mit weniger als drei Jahren, die grosse Mehrheit mit fünf bis sechs Jahren. Diese beiden Beispiele zeigen, dass das Lernen sehr unterschiedlich schnell erfolgt. Die teilweise enorme Unterschiedlichkeit kann verunsichern, ist aber normal. Die Entwicklungspsychologie zeigt, dass jedes Kind einen eigenen Lernweg und ein eigenes Lerntempo hat. Nicht nur die Wissenschaft, auch das Sprichwort kennt die Tatsache: "Am Grashalm ziehen, damit er schneller wächst" hilft nicht. Viele Entwicklungsschritte lassen sich nicht beschleunigen.
Tabelle 1, Frühe Kindheit (3-6 Jahre)
Gesichtspunkt | Hauptmerkmale | Bedeutung für die Schule |
Körperliche und motorische Entwicklung | das Gehirn weist Ende Kindergarten bereits 90% des Gewichts eines erwachsenen Gehirns auf | Impulse werden schneller im Gehirn weitergeleitet. |
Koordination der Finger und Hände nimmt zu | feinmotorische Fertigkeiten wie schneiden, aufreihen von Perlen, etc. verbessern sich | |
Die Malbewegungen werden mit dem Wechsel vom Unterarm zum Handgelenk immer feiner. Dies ist eine grössere Umstellung für das Kind und braucht daher gezielte Übung. | ||
Der Gleichgewichtssinn entwickelt sich weiter | Voraussetzungen für Roller- und Fahrradfahren, Bälle rollen und auffangen sind gegeben | |
Kognitive Entwicklung | magisches Denken: das Kind glaubt an übernatürliche Kräfte und Märchenwesen | Naturerscheinungen werden höheren Mächten zugeschrieben. Die kindliche Umwelt ist stark emotional besetzt, was sich auf das seelische Gleichgewicht auswirkt. |
Egozentrismus: das Kind bezieht alles auf sich und schliesst von sich auf die Umwelt. | Das Kind glaubt, dass alle Dinge seiner Umgebung mit den gleichen Fähigkeiten ausgestattet sind, wie es selbst und auch belebt sind. So ist ein Tisch, an dem man sich gestossen hat ein böser Tisch, der einem absichtlich weh getan hat. | |
Theory of mind: das Kind kann sich und anderen mentale Zustände (Wissen, Glauben, Denken, Fühlen) zuschreiben. | Kinder erkennen ab dem 4.Lebensjahr, dass andere Personen nicht die gleiche Weltsicht haben müssen und anders handeln als ihnen bekannt ist. | |
bedeutsame Verbesserungen hinsichtlich der exekutiven Kontrolle (Überwachungs- und Steuerungsprozesse) | Das Kind lernt allmählich, seine Handlungen zu planen, flexibel auf einen Regelwechsel zu reagieren, Arbeitsgedächtnisprozesse zu überwachen und nicht zielführendes Verhalten zu unterdrücken. | |
Gerdächtnisvorgänge werden systematischer und strategischer | Das Kurzzeitgedächtnis verbessert sich deutlich zwischen 4 und 7 Jahren. Bspw. liegt die Gedächtnisspanne für Wörter bei 4-Jährigen bei zwei bis drei Wörtern. Im Alter von sieben Jahren können bereits fünf Wörter behalten werden. Auftragskette im Kindergarten sollte also noch möglichst kurz sein. | |
Je vertrauter die Situation oder das Ereignis (z.B. Einkaufen gehen) desto besser die Speicherung im Langzeitgedächtnis. | ||
Konzentration | Das Kind kann sich bis ca. 15 Minuten konzentrieren. |
Tabelle 2, Frühe Kindheit (3-6 Jahre)
Gesichtspunkt | Hauptmerkmale | Bedeutung |
Sprach-entwicklung |
Wortschatz: Bis zum Alter von 3 Jahren werden v.a. Nomen, Verben und Adjektive erworben, danach folgen Präpositionen und Artikel. | Das 5-jährige Vorschulkind sollte Fragen stellen und beantworten, Wünsche äussern und sein Verhalten sprachlich begründen können. |
Der Wortschatz wird besonders durch das häufige Fragestellen an Erwachsene vergrössert | ||
Es hilft dem Kind, wenn ihm aufmerksam zugehört wird und Gedanken sowie Gefühle geordnet werden | ||
Grammatik: kommt dann zum Zug, wenn Kinder erstmals Wortkombinationen bilden (mit ca. 2 Jahren) und beachten dabei schon Regelhaftigkeiten. | Ab Mitte des 3.Lebensjahres können Pluralformen korrekt gebildet werden. | |
Satzkonstruktionen werden mit ca. 4 Jahren beherrscht. | ||
Die Sprachentwicklung verläuft in der Vorschulphase rasant. | Die meisten Kinder sind gegen Ende des Kindergartens gerüstet für die sprachlichen Herausforderung der nun folgenden Schulzeit. Beratung beiziehen, wenn das Kind nicht immer verständlich spricht, es ihm schwer fällt, korrekte Sätze zu bilden oder einfache Inhalte nicht wiedergeben kann |
Tabelle 3, Frühe Kindheit (3-6 Jahre)
Gesichtspunkt | Hauptmerkmale | Bedeutung für die Schule |
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Entwicklung von Motivation und Emotion |
Ab ca. 3.5 Jahren führt das Kind das Handlungsergebnis (Erfolg oder Misserfolg) auf die eigene Tüchtigkeit zurück und empfindet dabei Stolz oder Scham | |
Mit ca. 5 Jahren hängt das Ausmass der erlebten eigenen Tüchtigkeit vom Schweregrad der Aufgabe ab | Das Kind fühlt sich nach erfolgreicher Bewältigung einer Aufgabe besser, wenn die Aufgabe als relativ schwer wahrgenommen wurde | |
Bedeutende individuelle Unterschiede der spontanen Leistungesbereitschaft werden ab 5 Jahren deutlich erkennbar | Das Kind wählt Aufgaben, welche es erfolgreich zu bewältigen glaubt | |
Das Kind frönt noch gerne dem Lustprinzip und stellt Erwartungen von Erwachsenen hinter die eigenen. | ||
Basisemotionen sind erkennbar: Ärger, Stolz/Freude, Furcht, Ekel, Wut, Scham/Schuld, Schmerz, Überraschung, Trauer und Verachtung | Die Kinder lernen, ihren Emotionsausdruck als Kommunikationsmittel einzusetzen (siehe auch Theory of Mind) | |
Strategien zur Emotionsregulation werden allmählich entwickelt | Die Entwichlung der Frustrationstoleranz und der Fähigkeit zum Belohnugsaufschub stellt eine grosse Herausforderung dar und braucht Zeit | |
Persönlichkeits-entwicklung |
Selbstkonzept (Einschätzung über sich selbst): 3-4-Jährige können sich selbst konkrete Eigenschaften zuordnen bezüglich ihres körperlichen Erscheinungsbildes, Aktivitäten, Fähigkeiten, Besitztümer und soziale Beziehungen. Diese Selbstbeschreibungen sind unrealistisch positiv | Die Kinder beschreiben sich eher wie sie gerne sein wollen, als wie sie wirklich sind |
Soziale Entwicklung |
Interaktionen mit Gleichaltrigen werden komplexer und sozial verträglicher | Kooperative Spielformen werden möglich, wenn egozentrische Denkweisen überwunden werden und sich die Kinder gemeinsam einigen, womit und wie gespielt werden soll |
Die spielerische Auseinandersetzung mit der Umwelt eröffnet ein breites Lernfeld und trägt entscheidend zur Sozialisation bei. Dabei werden die drei Arten Rollenspiel, Funktionsspiel und das werkschaffende Spiel unterschieden | ||
das Rollenspiel: das Kind engagiert sich gerne in sogenannten "Als-ob"-Spielen: bestimmte Objekte erhalten neue Funktionen (eine Schachtel wird zum Auto, das Kind spielt eine Hexe) | Das Rollenspiel bildet eine Brücke zur Wirklichkeit. Es hilft dem Kind, seine Erlebnisse zu verabeiten und innere Spannungen abzubauen | |
das Funktionsspiel: das Kind experimentiert mit Umweltdingen und lernt Eigenschaften kennen | Das Ziel ist, Freude an der Bewegung und an der zufällig bewirkten Veränderung zu haben. z.B. Sand wird einfgefüllt und ausgeleert | |
Das werkschaffende Spiel ist gekennzeichnet durch Planung, Durchführung und Erkennbarkeit des Endproduktes | Während des Spiels entwickelt sich zufällig ein Gegenstand, welcher Ähnlichkeit mit der Realität hat (Bausteine aufeinder gereiht sehen aus wie ein Turm). Die Freude an der Betätigung wechselt zur Freude am Produkt. | |
Beziehungen zu den engsten Bezugspersonen in der Familie sind wichtig (Bindung) und eng, doch kommen weitere hinzu | Freundschaften werden durch Vertrauen und gemeinsame Aktivitäten gebildet. Es zeigen sich jedoch beträchtliche individuelle Unterschiede in der Bereitschaft, Spielsachen mit anderen zu teilen. |
Mittlere und späte Kindheit (6-11 Jahre)
Nach Vollendung des sechsten Lebensjahres treten die Kinder in der Regel in die 1. Klasse über. Neben dem Kinderarzt sind die Kindergartenlehrpersonen oft die ersten ausserfamiliären Personen, welche den Entwicklungsstand des Kindes beurteilen. Dabei stellen sie fest, dass Entwicklungsunterschiede zwischen den Kindern und auch innerhalb eines Kindes nach wie vor gross sein können. Im Zeitalter der integrativen Schule haben alle Kinder in der Schulklasse Platz. Während der folgenden Primarschulzeit entwickelt sich das Denken der Kinder grundlegend. Die Motivation für das schulische Lernen wird in dieser Entwicklungsphase zum Thema. Erlebt das Kind, dass es sich lohnt sich anzustrengen? Erhält es Aufgaben, die es zu bewältigen mag? Wird es für seinen Einsatz gewürdigt? Mit wem wird es verglichen? Das Bild, welches das Kind von sich hat, wird nun durch schulische Fähigkeiten, soziale Beziehungen und das Selbstwertgefühl ergänzt. Letzteres wird in hohem Masse von der sozialen Umwelt beeinflusst.
Tabelle 4, Mittlere und späte Kindheit (6-11 Jahre)
Gesichtspunkt | Hauptmerkmale | Bedeutung für die Schule |
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Kognitive Entwicklung | Qualitative Veränderungen | |
Entwicklung eines komplexeren Denkens: zwischen 7 und 11 Jahren wird das Denken flexibler und organisierter. Kinder sind nun in der Lage, mehrere Aspekte einer Situation gleichzeitig zu betrachten und können konkrete Probleme, die sich auf die gegenwärtige Situation beziehen, lösen. | Das Schulkind vermag zunehmend sowohl verschiedene Aspekte eines Sachverhalts gleichzeitig und in ihrem Zusammenhang zu erfassen. So erkennt das Kind bspw., dass die Menge der Knete gleich bleibt, wenn man einen Ball aus Knete zu einem Wurm formt. Zudem kann es Kategorien und Reihen bilden. | |
Überwindung des Egozentrismus: Um das neunte Lebensjahr gelingt es Kindern, sich vom Eigenerlebnis zu distanzieren. Das Interesse erweitert sich räumlich und zeitlich auf Phänomene, die das Kind weder gesehen noch selbst erlebt hat. | Das Kind hat nun keine Schwierigkeiten mehr, sich in fiktive Situationen hineinzudenken und öffnet so die Türen für die Entwicklung des schlussfolgernden Denkens. Spannende Diskussionen können im Unterricht geführt und Erkenntnisse gewonnen werden. | |
Deduktives Denken: von einem allgemeinen Sachverhalt über eine Klasse von Objekten wird die Schlussfogerung über ein Exemplar einer Klasse gezogen. Z. B. Falls die Aussagen "Alle Katzen haben vier Pfoten" und "Snoby ist eine Katze" wahr, dann ist die Aussage "Snoby hat vier Pfoten" auch wahr. |
Durch deduktives und induktives Denken vergrössert sich das Wissen der Kinder schnell. Sie zeigen dabei mehr Unsicherheit beim induktiven Denken gegenüber dem deduktiven Denken, da man sich nie sicher sein kann, dass neue Information die Schlussfolgerung nicht infrage stellt. |
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Induktives Denken: auf der Basis einzelner Beobachtungen werden allgemeine Schlussfolgerungen gezogen. Z. B. "Meine Katze Snoby hat vier Pfoten. Die Katzen der Nachbarn haben auch vier Pfoten. Demnach haben alle Katzen vier Pfoten." | ||
Räumliches Denken: Lage und Positionen von Objekten können nun aus einem anderen Bezugsrahmen als dem eigenen bzw. aus einer anderen Perspektive beschrieben werden. | Kinder finden nun ohne Probleme ihren Weg von der Schule nach Hause. Auch Vorstellungen über Entfernungen zwischen zwei Orten und die Dauer bis zum Erreichen eines entfernten Zieles werden immer genauer. | |
Quantitative Veränderungen | ||
Die Informationsverarbeitung wird schneller, was mehr Kapazität zur Verarbeitung weiterer Informationen frei gibt. | die Schnelligkeit, mit der kognitive Operationen ausgeführt werden können, nimmt von der mittleren Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter deutlich zu und wird mit der Gehirnentwicklung in Zusammenhang gebracht | |
Gedächtnis: Gedächtnisleistungen werden besser | Dies auch, weil zunehmend Gedächtnisstrategien (d.h. unterschiedliche Techniken und Mittel, um die Gedächtnisleistung zu verbessern) vermittelt und angewendet werden (z. B. externe Gedächtnishilfen wie Knoten im Taschentuch, Listen schreiben, Wiederholung des zu merkenden Inhalts, Gruppierungen/Kategorisierungen etc.). Es bewährt sich zu Beginn möglichst viele Strategien auszuprobieren. | |
Es gibt verschiedene Entwicklungsverläufe für verschiedene Gedächtnisarten (z. B. deutlichere Zunahme der visuellen Gedächtnisspanne als der verbalen Gedächtnisspanne) | in der Schule sollten verschiedene Gedächtnisarten (visuelle, verbale und taktile Infokanäle) genutzt werden | |
Kognitive Kontrolle: Verbesserung der kognitiven Kontrollleistungen, was vor allem auf Reifungsprozesse des präfrontalen Kortex zurückzuführen ist (Aufrechterhaltung relevanter Information, Hemmung automatisierter Handlungstendenzen, kognitive Flexibilität, Koordination multipler Aufgaben, Handlungsplanung) | während es für Kinder der Unterstufe noch schwierig ist, selbständig an Wochenarbeitsplänen zu arbeiten, gelingt dies Kindern der Mittelstufe zunehmend besser | |
Konzentration: die Aufmerksamkeitsspanne nimmt weiter zu | Kinder können sich nun bis ca. 20 Minuten konzentrieren | |
Metakognition: ein Verständnis über die eigenen kognitiven Komptenzen und Funktionsweisen entwickelt sich | das Kind kann unter Anleitung darüber reflektieren wie es am besten lernt | |
Sprachent-wicklung | Objektivierung der Sprache: es wird ein Verständnis dafür entwickelt, dass Sprache in Sätze, Wörter und Laute zerlegbar ist. | Das Kind setzt nun Buchstaben und Laute in Beziehung und beginnt zu schreiben. |
das 6-jährige Kind beherrscht im Regelfall die syntaktischen und morphologischen Grundstrukturen seiner Muttersprache. | diese Kompetenzen werden nun in der Schule verfeinert und ergänzt | |
sprachliche Fähigkeiten nehmen in quantitativer (z. B. Wortschatzumfang) als auch qualitativer Hinsicht (differenzierteres Verständnis für Wortbedeutungen) zu | durch die Abnahme des Egozentrismus wird die Sprache zunehmend kontextungebundener und wird als Mittel zur Problemlösung und zur Darstellung von Sachverhalten eingesetzt | |
mit ca. 10-jährig entwickelt das Kind ein Verständnis für Metaphern, Doppeldeutigkeiten und Sprachwitz | ||
mit ca. 11-jährig beherrscht das Kind Geschichten auf einen Höhepunkt hin zu erzählen | ||
Entwicklung von Motivation und Emotion |
von der Lustorientierung zur Akzeptanz von Fremdbestimmung | Kinder können sich zunehmend von selbstbestimmten und lustorientierten Spielen lösen und an von Erwachsenen vorgegebenen Aufgaben arbeiten |
die Entwicklung einer hohen Leistungsmotivation hängt davon ab, welche Ursachen Kinder dem Erfolg oder Misserfolg in Leistungssituationen zuschreiben | Je nach dem wie ein Kind seine Leistung begründet (Erfolg aufgrund eigener guter Fähigkeiten oder Zufall), wird es motiviert sein, sich neuen Herausforderungen zu stellen und sich durch Misserfolge nicht so schnell entmutigen lassen oder es wird pessimistisch an die Aufgaben herangehen und schnell aufgeben. Das Umfeld sollte in dem Falle dem Kind helfen, seine Ursachenzuschreibungen zu korrigieren und so dessen Angst vor Leistungssituationen entgegen wirken. | |
Bezugsnormorientierung: werden die Leistungen schwächerer Kinder mit den Leistungen Ihrer MitschülerInnen verglichen (soziale Bezugsnorm) steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Motivation dieser Kinder stark abnimmt | Die individuellen Lernfortschritte des Kindes betrachten anstelle des Vergleichs mit der ganzen Klasse! Dies beugt Misserfolgserlebnissen, Frustrationen, Angst und der Vermeidung weiterer Leistungssituationen vor. | |
ab der mittleren Kindheit treten intrapersonale Emotionen wie Stolz, Scham oder Schuld zunehmend auch in Abwesenheit anderer Personen bzw. Erwachsener auf. | Nicht jede Form von Fehlverhalten löst Scham oder Schuldgefühle aus, sondern in erster Linie vorsätzliches, intendiertes Fehlverhalten wie Lügen oder Stehlen. | |
die Beschreibung emotionaler Zustände wird differenzierter und im Alter von 10-11 Jahren verstehen Kinder ambivalente Emotionen. Sie entwickeln zunehmend ein Verständnis dafür, dass der Emotionsausdruck nicht unbedingt mit der tatsächlichen Gefühlslage übereinstimmen muss. | Das Kind freut sich auf die Ferien und ist gleichzeitig traurig, weil es dann nicht mit den Freundinnen spielen kann | |
Persönlichkeits-entwicklung |
Selbstkonzept: da soziale Vergleiche mit Gleichaltrigen immer häufiger vorgenommen werden, werden die Selbstbeschreibungen zunehmend differenzierter, umfassender und realistischer | Das schulische Umfeld unterstützt diese Tendenz, insbesondere wenn die Leistungen der Kinder z.B. durch die Notengebung wiederholt miteinander verglichen werden. |
Selbstwertgefühl entwickelt sich (subjektive Bewertung des Selbstkonzepts; das was man von sich hält) | die Schulleistung beeinflusst das Selbstwertgefühl | |
Ein Kind mit schlechten Leistungen kann bei entsprechender Unterstützung und Wertschätzung ein hohes Selbstwertgefühl entwickeln, wenn ihm der Eindruck vermittelt wird, dass die anderen es so akzeptieren und mögen, wie es nun einmal ist. | ||
ab ca. 8 Jahren beeinflussen die Fremdeinschätzungen über die eigenen Kompetenzen das Selbstwertgefühl | ||
Soziale Entwicklung | Schule: Mit dem Schuleintritt werden Lehrer und Mitschüler neue Bezugspersonen | |
Beziehung zur Lehrperson: Kinder haben das Bedürfnis nach Anerkennung durch Lehrpersonen, nach gerechter Beurteilung, nach Wohlwollen und Verständnis - es wird absolute Gerechtigkeit erwartet | Eine gute Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler wirkt sich positiv auf den Schulerfolg aus. Lehrpersonen dürfen aus Sicht der Kinder streng sein, sie dürfen Leistungen abverlangen, aber sie dürfen niemanden bevorzugen und sie dürfen niemandem falsche Motive unterstellen | |
Kinder können unterschiedlich schnell Freundschaften zu Gleichaltrigen aufbauen. Sozial kompetente Kinder sind eher in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen, gehen bei der Kontaktaufnahme weniger impulsiv vor und sind dadurch eher akzeptiert. | Dadurch, dass sozial ungeschickte Kinder von Gleichaltrigen abgelehnt werden, mangelt es ihnen an Kontakten zu anderen Kindern und können so sozial angemesseneres Verhalten nicht einüben. Hier ist Unterstützung von aussen nötig. | |
im Schulalter setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass Freundschaften auf Gegenseitigkeit beruhen und Kompromisse eingehen dazu gehört. Gegenseitiges Vertrauen gewinnt an Bedeutung. Als wichtiges Freundschaftskriterium gilt, dass man sich Geheimnisse erzählen kann und sich darauf verlassen kann, dass diese nicht weitererzählt werden | ||
ab der 3. Klasse rücken die Geschlechter allmählich auseinander | im Turnen und in den Pausen sind die Mädchen am liebsten in Mädchengruppen von zwei bis drei Mitglieder, während die Buben ihre Freizeit mit anderen Buben in grösseren Gruppen verbringen |
Jugend (12-19 Jahre)
In diesem Altersbereich geht es v.a. um die Selbstfindung. Wer bin ich, wie sehe ich aus, wo will ich hin und mit wem? Der Einfluss der Eltern nimmt dabei immer mehr ab und jener der gleichaltrigen Freunde nimmt zu. Es findet quasi eine Restrukturierung der sozialen, kognitiven, und körperlichen Ausgangslage statt.
Tabelle 5, Jugend (12-19 Jahre)
Gesichtspunkt | Hauptmerkmale | Bedeutung für die Schule |
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Körperliche Entwicklung |
Veränderungen in der Körpersilhouette, in den sekundären Geschlechtsmerkmalen und in den Organsystemen | Der Zeitpunkt und die Dauer der körperlichen Veränderung unterliegen erheblichen Variationen. Besonders eine frühe Reife kann zu Problemverhalten führen, da die Jugendlichen von den neuen Erfahrungen überfordert werden. |
Kognitive Entwicklung |
Struktur der neuronalen Systeme ändert sich: viel genutzte Verbindungen zwischen den Nervenzellen nehmen zu, wenig benutzte werden eliminiert | zentralnervöse Veränderungen bringen Verbesesrungen hinsichtlich Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, abstraktem und metakognitivem Denken |
Achtung: Nicht alle Hirnareale reifen gleichzeitig aus: Zuerst entwickeln sich basale Funktionsweisen (Sprache, räumliche Orientierung) dann motorische Koordination und schliesslich exekutive Funktionen (Selbststeuerung, Handlungsplanung) | ||
Die Fähigkeit zur Reflexion, zum Nachdenken über sich selbst, bildet sich aus | ||
Konzentration | Jugendliche können sich ca. 30 Minuten konzentrieren | |
Sprachentwicklung |
lernt, sein Sprachverhalten verschiedenen Situationen besser anzupassen | |
eignet sich eine Jugendsprache an | ||
Persönlichkeits-entwicklung |
Der Prozess der Identitätsfindung beginnt und verläuft von aussen (äussere Erscheinung) nach innen (Eigenschaften und Fähigkeiten). Dabei werden die Jugendlichen im Wesentlichen von drei Fragen geleitet: Wie bin ich, Wie möchte ich sein und Für wen hält man mich? | Die äussere Erscheinung wird kritisch betrachtet und macht vielen Jugendlichen Sorgen, wie sie bei den anderen wohl ankommt. Das Selbstwertgefühl ist in dieser Phase besonders labil, was sich oft in einem starken Geltungsbedürfnis niederschlägt |
Je grösser die Diskrepanz zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand umso grösser die seelische Spannung | ||
Ablösung von der Familie: Normen und Werte von den Eltern werden (zum Teil) zurückgewiesen |
Die Lehrperson ist im Spannungsfeld zwischen klarer Grenzgebung im schulischen Alltag und rücksichtsvoller Anteilnahme, was persönliche Probleme der Jugendliche betrifft |
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Elterliche Kontrolle kann zu Rebellion führen, vermittelt aber gleichzeitig auch Halt und Geborgenheit | ||
Soziale Entwicklung | Familie: Das Vertrauen in die Eltern steigt, aber auch die Konflikte über alltägliche Probleme nehmen zu. Die Beziehung ist ambivalent |
Gleichaltrige und besonders Freunde bekommen einen sehr hohen Stellenwert. Es bilden sich Subkulturen, welche spezifische Trends, Moden, Sprach- und Verhaltensformen sowie Normen und Werte beinhalten. Damit möchten sie ein klares Signal geben, wie stark sie sich von der Erwachsenenwelt unterscheiden. Trotz des Drangs nach Autonomie bleibt die Lehrperson eine wichtige Bezugsperson, welche den Jugendlichen helfen kann, selbst gewählte Sackgassen zu vermeiden |
Gleichaltrige Freunde (Peers): Rolle der Eltern wird relativiert und jener der Freunde nimmt zu | ||
Romantische Beziehungen: Jugendliche werden ihren eigenen sexuellen Bedürfnissen gewahr, erfahren Attraktion für und durch andere | ||
Schule: Gewöhnung an die Vielzahl der Fachlehrer und damit einhergehenden unterschiedlichen Anforderungen |
Fazit
Die in den Tabellen ausgewählten Merkmale der Entwicklung sollen zeigen, wie breit und vielfältig die Entwicklung des Kindes während der Schulzeit geschieht. Entwicklungspsychologinnen und Entwicklungspsychologen sind sich einig, dass Entwicklung ein kontinuierlicher Prozess ist, der in unterschiedlichem Tempo verläuft. Lehrpersonen sehen deshalb in ihren Klassen oft eine grosse Variabilität an Entwicklungsstufen. Auf die entsprechenden individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen und nicht alle Kinder gleich zu behandeln, stellt heute wohl eine der grossen Herausforderungen dieses Berufes dar.
*Die Autorinnen sind als Schulpsychologinnen beim Schulpsychologischen Dienst tätig. Debora Hauser ist zuständig für die Gemeinden Hünenberg und Walchwil, Géraldine Rossi für die Gemeinde Menzingen und einen Teil der Stadt Zug.
Quellen: |
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