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Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO
Art. 114 lit. c und 115 ZPO
Art. 115 ZPO
Art. 141 ZPO

Art. 158 ZPO

Re­ges­te:

Art. 158 ZPO – Ein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se ge­mäss Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO kann auch in der Ab­klä­rung der Beweis-​ und Pro­zess­aus­sich­ten lie­gen. Der Ge­such­stel­ler hat glaub­haft zu ma­chen, dass ihm die  vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung eine bes­se­re Ab­schät­zung der Pro­zess­chan­cen er­mög­licht.

Aus dem Sach­ver­halt:

A. wurde Opfer eines Auf­fahr­un­falls. Er mach­te beim Kan­tons­ge­richt Zug eine Teil­kla­ge hän­gig. In einem all­fäl­li­gen Ge­samt­kla­ge­ver­fah­ren be­ab­sich­tig­te er, Dr. C., bei wel­chem die Y. Ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on einen me­di­zi­ni­schen Be­richt ein­ge­holt hatte, als sach­ver­stän­di­gen Zeu­gen an­zu­ru­fen. Um seine Pro­zess­chan­cen ab­schät­zen zu kön­nen, be­an­trag­te A. beim Kan­tons­ge­richt Zug als vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung die Ein­ho­lung einer schrift­li­chen Aus­kunft bei Dr. C. zur Frage, wie viele Gut­ach­ter­auf­trä­ge er in den Jah­ren 2003 bis 2013 von der Y. Ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on er­hal­ten habe und wel­ches Ho­no­rar ihm für diese Gut­ach­ter­auf­trä­ge ins­ge­samt be­zahlt wor­den sei. Gegen den ab­wei­sen­den Ent­scheid des Ein­zel­rich­ters am Kan­tons­ge­richt Zug erhob A. Be­ru­fung beim Ober­ge­richt.

Aus den Er­wä­gun­gen:

3. Ge­mäss Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO nimmt das Ge­richt im Rah­men einer vor­sorg­li­chen Be­weis­füh­rung je­der­zeit Be­weis ab, wenn die ge­such­stel­len­de Par­tei eine Ge­fähr­dung der Be­weis­mit­tel oder ein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se glaub­haft macht. Nach der bun­des­rät­li­chen Bot­schaft wird mit dem Be­griff des schutz­wür­di­gen In­ter­es­ses in Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO auf die Mög­lich­keit Bezug ge­nom­men, eine vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung auch zur Ab­klä­rung der Beweis-​ und Pro­zess­aus­sich­ten durch­zu­füh­ren. Diese Mög­lich­keit soll dazu bei­tra­gen, aus­sichts­lo­se Pro­zes­se zu ver­mei­den (Bot­schaft vom 28. Juni 2006 zur Schwei­ze­ri­schen Zi­vil­pro­zess­ord­nung, BBl 2006, 7315). Mit der blos­sen Be­haup­tung eines Be­dürf­nis­ses, Beweis-​ und Pro­zess­aus­sich­ten ab­zu­klä­ren, ist ein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se an einer vor­sorg­li­chen Be­weis­füh­rung je­doch noch nicht hin­rei­chend glaub­haft ge­macht. Eine vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung kann nur mit Blick auf einen kon­kre­ten ma­te­ri­ell­recht­li­chen An­spruch ver­langt wer­den, hängt doch das In­ter­es­se an einer Be­weis­ab­nah­me vom In­ter­es­se an der Durch­set­zung eines damit zu be­wei­sen­den An­spruchs ab. Der Ge­such­stel­ler, der sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, muss daher glaub­haft ma­chen, dass ein Sach­ver­halt vor­liegt, ge­stützt auf den ihm das ma­te­ri­el­le Recht einen An­spruch gegen die Ge­suchs­geg­ne­rin ge­währt und zu des­sen Be­weis das ab­zu­neh­men­de Be­weis­mit­tel die­nen kann (BGE 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81 f.; Fell­mann, in: Sutter-​Somm/Ha­sen­böh­ler/Leu­en­ber­ger [Hrsg.], Kom­men­tar zur ZPO, 2. A., Zü­rich/Basel/Genf 2013, Art. 158 N 19). Für Tat­sa­chen hin­ge­gen, die mit dem vor­sorg­lich ab­zu­neh­men­den Be­weis­mit­tel be­wie­sen wer­den sol­len, kann keine ei­gent­li­che Glaub­haft­ma­chung ver­langt wer­den, denn sonst würde der Zweck von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO, die vor­pro­zes­sua­le Ab­klä­rung von Be­weis­aus­sich­ten zu er­mög­li­chen, ver­ei­telt. Stellt das ab­zu­neh­men­de Be­weis­mit­tel das ein­zi­ge dar, mit dem die Ge­such­stel­le­rin ihren An­spruch be­wei­sen kann, muss es ge­nü­gen, dass sie das Vor­lie­gen der an­spruchs­be­grün­den­den Tat­sa­chen le­dig­lich sub­stan­ti­iert be­haup­tet (BGE 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81 f.).

Die An­for­de­run­gen an die Glaub­haft­ma­chung dür­fen nicht über­spannt wer­den, geht es doch beim Ver­fah­ren der vor­sorg­li­chen Be­weis­ab­nah­me noch nicht um die Prü­fung der Be­grün­det­heit des Haupt­an­spruchs. Ein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se wäre etwa dann zu ver­nei­nen, wenn das be­an­trag­te Be­weis­mit­tel un­taug­lich ist, muss doch das vor­sorg­lich ab­ge­nom­me­ne Be­weis­mit­tel in einem all­fäl­li­gen Haupt­pro­zess ver­wer­tet wer­den kön­nen. Eben­falls kein In­ter­es­se an einer vor­sorg­li­chen Be­weis­füh­rung be­steht so­dann, wenn es der ge­such­stel­len­den Par­tei le­dig­lich darum geht, ein be­reits vor­lie­gen­des, be­weis­taug­li­ches Gut­ach­ten mit einem wei­te­ren Gut­ach­ten in Frage zu stel­len (BGE 140 III 24 E. 3.2.2).

3.1 Der Ge­such­stel­ler rügt eine un­rich­ti­ge An­wen­dung von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO bzw. eine Ver­let­zung des Rechts auf den Be­weis durch die Vor­in­stanz. Von der Be­ant­wor­tung der schrift­li­chen Aus­kunft durch Dr. C. hänge die Frage ab, ob er mit­samt sei­ner Stel­lung­nah­me im Haupt­ver­fah­ren ge­stützt auf Art. 49 ZPO und Art. 47 Abs. 1 lit. a und f ZPO i.V.m. Art. 183 Abs. 2 ZPO in den Aus­stand zu tre­ten habe oder seine Stel­lung­nah­me ge­mäss Art. 172 b ZPO un­glaub­wür­dig sei. Davon hänge wie­der­um ab, wie hoch die Pro­zess­chan­cen für den Ge­samt­an­spruch seien, da Dr. C. der ein­zi­ge Arzt sei, wel­cher den Grad und die Dauer sei­ner un­fall­be­ding­ten Arbeits-​ und Er­werbs­un­fä­hig­keit als tie­fer bzw. kür­zer ein­ge­schätzt habe als von ihm (dem Ge­such­stel­ler) be­haup­tet. Die schrift­li­che Aus­kunft könne somit sehr wohl dazu die­nen, um die Beweis-​ und Pro­zess­aus­sich­ten eines Haft­pflicht­pro­zes­ses über den Ge­samt­scha­den ab­zu­klä­ren. Daran än­de­re nichts, dass er um die mög­li­che Be­fan­gen­heit von Dr. C. an­geb­lich schon wisse. Ent­schei­dend sei ein­zig, was auch be­wie­sen wer­den könne.

3.2 Die Ge­suchs­geg­ne­rin wen­det da­ge­gen im We­sent­li­chen ein, der Ge­such­stel­ler habe be­reits eine Teil­kla­ge an­hän­gig ge­macht, wes­halb er kein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se mehr an der Klä­rung der Pro­zess­chan­cen durch die vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung habe. Der Ge­such­stel­ler be­ur­tei­le seine Pro­zess­chan­cen als aus­rei­chend, an­sons­ten hätte er die Teil­kla­ge mit gleich lau­ten­den Be­weis­be­geh­ren nicht ein­ge­reicht. Sei der Pro­zess ein­mal ein­ge­lei­tet, ge­nü­ge zur Be­grün­dung der vor­zei­ti­gen Be­weis­ab­nah­me nur noch die Be­weis­ge­fähr­dung. Eine sol­che habe der Ge­such­stel­ler nicht dar­ge­tan. Im Üb­ri­gen habe er im Teil­kla­ge­ver­fah­ren in be­weis­recht­li­cher Hin­sicht die­je­ni­gen Ab­klä­run­gen be­an­tragt, wel­che er nun­mehr auch mit der vor­sorg­li­chen Be­weis­füh­rung an­stre­be. Es sei daher davon aus­zu­ge­hen, dass er die ver­lang­ten Aus­künf­te im Teil­kla­ge­ver­fah­ren er­hal­ten werde und diese im dort er­ge­hen­den Ent­scheid mit Blick auf das Ge­samt­kla­ge­ver­fah­ren ge­wür­digt wür­den.

3.3.1 Nach Auf­fas­sung des Ge­setz­ge­bers soll die vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung – wie be­reits er­wähnt – unter an­de­rem der Ab­klä­rung der Beweis-​ und Pro­zess­aus­sich­ten die­nen. Der Ge­such­stel­ler trägt vor, als ein­zi­ger Arzt habe Dr. C. den Grad und die Dauer der un­fall­be­ding­ten Arbeits-​ und Er­werbs­un­fä­hig­keit tie­fer bzw. kür­zer ein­ge­schätzt als von ihm (dem Ge­such­stel­ler) be­haup­tet, wes­halb die Pro­zess­chan­cen für den Ge­samt­an­spruch von der Glaub­wür­dig­keit sei­nes Be­rich­tes oder vom Vor­lie­gen eines Aus­stand­grun­des ab­hän­gig seien. Aus die­sen Aus­füh­run­gen er­hellt, dass di­ver­se Be­rich­te von ver­schie­de­nen Ärz­ten vor­lie­gen und der Ge­such­stel­ler den Be­richt von Dr. C. of­fen­bar als Min­der­heits­mei­nung be­trach­tet. Zu­min­dest er­gibt sich auf­grund der di­ver­sen an­de­ren Arzt­be­rich­te, wel­che dem Be­richt von Dr. C. ge­gen­über­ste­hen und of­fen­bar die Be­haup­tun­gen des Ge­such­stel­lers stüt­zen, ein hin­rei­chend kla­res Bild für die Be­ur­tei­lung der Pro­zess­chan­cen. Der Ge­such­stel­ler hat denn auch kein – ge­richt­li­ches – Gut­ach­ten als vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung ver­langt. Geben die be­reits vor­lie­gen­den ärzt­li­chen Gut­ach­ten und Be­rich­te ge­nü­gend An­halts­punk­te zur Ein­schät­zung der Pro­zess­chan­cen, ist nicht glaub­haft, dass die vor­sorg­li­che Be­weis­füh­rung dem Ge­such­stel­ler eine bes­se­re Ab­schät­zung der Pro­zess­chan­cen er­mög­licht (vgl. Fell­mann, a.a.O., Art. 158 N 19a; Ur­teil OG ZH vom 20. De­zem­ber 2011, LF110116-O/U). Im­mer­hin hat der Ge­such­stel­ler be­reits eine Teil­kla­ge ein­ge­reicht, in wel­cher er Dr. C. als Zeu­gen be­an­tragt hat; nota bene ohne über die ver­lang­te In­for­ma­ti­on zu ver­fü­gen (vgl. dazu Erw. 3.3.3 nach­fol­gend). Die Vor­in­stanz er­ach­te­te es somit zu Recht als nicht glaub­haft, dass der Ent­scheid des Ge­such­stel­lers, ob er den Ge­samt­an­spruch ein­kla­gen will oder nicht, ganz oder teil­wei­se von der An­zahl der durch die Y. Ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on bei Dr. C. in Auf­trag ge­ge­be­nen Gut­ach­ter­auf­trä­ge ab­hän­gig sein wird.

3.3.2 Im Üb­ri­gen dient die ver­lang­te Aus­kunft über die bis­he­ri­ge Ge­schäfts­be­zie­hung zwi­schen der Y. Ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on und Dr. C. ein­zig der Wür­di­gung sei­nes Be­richts und sei­ner Aus­sa­gen an einer all­fäl­li­gen Zeu­gen­ein­ver­nah­me. Es ob­liegt je­doch dem im Haupt­pro­zess zu­stän­di­gen Ge­richt, über die Zu­las­sung eines Be­richts im Pro­zess zu ent­schei­den und die­sen zu wür­di­gen (Art. 157 ZPO). Im Rah­men der vor­sorg­li­chen Be­weis­füh­rung fin­det keine Be­weis­wür­di­gung statt (Fell­mann, a.a.O., Art. 158 N 18, 30; Brön­ni­mann, Ber­ner Kom­men­tar zur ZPO, 2012, Art. 158 ZPO N 28). Die ob­jek­ti­ven Kri­te­ri­en für die Be­weis­wür­di­gung wird sich daher das Ge­richt im Haupt­ver­fah­ren be­schaf­fen müs­sen. So sind Zeu­gen unter an­de­rem über ihre per­sön­li­chen Be­zie­hun­gen zu den Par­tei­en sowie über an­de­re Um­stän­de, wel­che für die Glaub­wür­dig­keit ihrer Aus­sa­gen von Be­deu­tung sein könn­ten, zu be­fra­gen. Diese Aus­künf­te hat das Ge­richt im Rah­men der frei­en Be­weis­wür­di­gung zu ver­wer­ten (vgl. Wei­bel/Nae­ge­li, a.a.O., Art. 172 N 3a). Neben der ge­schäft­li­chen Be­zie­hung zwi­schen der Y. Ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on und Dr. C. kön­nen dabei durch­aus noch wei­te­re Um­stän­de als aus­schlag­ge­bend in Be­tracht fal­len (vgl. Brön­ni­mann, a.a.O., Art. 157 N 7; Pas­sa­de­lis in: Baker/McK­an­zie [Hrsg.], Hand­kom­men­tar ZPO, Bern 2010, Art. 157 N 8). Auch aus die­sem Grund be­steht an der be­an­trag­ten vor­sorg­li­chen Be­weis­füh­rung zur Ein­schät­zung der Pro­zess­chan­cen kein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se.

Er­gän­zend ist an­zu­mer­ken, dass der Aus­stand nach Art. 183 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 Abs. 1 ZPO – ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ge­such­stel­lers – oh­ne­hin kaum in Frage käme. Denn die Er­stel­lung eines ge­richt­li­chen Gut­ach­tens durch Dr. C. steht nicht zur Dis­kus­si­on, son­dern die Be­fra­gung als sach­ver­stän­di­gem Zeu­gen zu dem von ihm zu­han­den der Y. Ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on ver­fass­ten Be­richt. Da die­ser von einem pri­va­ten Un­ter­neh­men in Auf­trag ge­ge­ben wurde, wird das Ge­richt die­sen Be­richt nicht als ge­richt­li­ches Gut­ach­ten wer­ten bzw. Dr. C. nicht als Sach­ver­stän­di­gen im Sinne von Art. 183 ff. ZPO be­trach­ten (vgl. BGE 140 III 24 E. 3.3.1.3 S. 27). Ent­spre­chend sind auf ihn die Art. 183 ff. ZPO nicht an­wend­bar, wes­halb er nicht den be­son­de­ren Aus­stands­grün­den un­ter­liegt (vgl. Rüet­schi, Ber­ner Kom­men­tar zur ZPO, 2012, Art. 175 N 5; Wei­bel/Nae­ge­li in: Sutter-​Somm/Ha­sen­böh­ler/Leu­en­ber­ger [Hrsg.], Kom­men­tar zur ZPO, 2. A., Zü­rich/Basel/Genf 2013, Art. 175 N 5 f.; a.M. Rei­nert in: Baker/McKen­zie, Hand­kom­men­tar zur ZPO, Bern 2010, Art. 175 N 4, wo­nach aber das Vor­lie­gen eines Aus­stands­grun­des die Be­fra­gung als Zeu­gen nicht aus­schliesst, so­weit dies das Ge­richt als sinn­voll er­ach­tet).

Ober­ge­richt, II. Zi­vil­ab­tei­lung, 14. Mai 2014 (eine da­ge­gen er­ho­be­ne Be­schwer­de wies das Bun­des­ge­richt mit Ur­teil 4A_342/2014 vom 17. Ok­to­ber 2014 ab)

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